Chernobyl, Fukushima und ?

Wenn man über nukleare Katastrophen nachdenkt, kommen einem sofort Tschernobyl und Fukushima in den Sinn. Kaum einer denkt an den Kyshtym-Unfall, der den Atomkomplex "Majak" betraf. Wie dem auch sei, der Unfall war einer der schlimmsten seiner Art. Dieser Vorfall von 1957 (die Öffentlichkeit wurde erst 20 Jahre später darüber informiert) kommt heute wieder an die Oberfläche: Im Oktober 2017 konnten Geologen eine erhöhte Strahlung von Ruhenium-106 über Europa nachweisen. Bereits im November konnte man eingrenzen, dass der Ursprung der Emissionen irgendwo im Süden Russlands zu liegen scheint. 

Viele Merkmale der Geschichte von "Majak" ähneln einem Spionageroman. Der Kernkomplex "Majak" (der erste in der UdSSR) entstand 1948, zu Beginn des Kalten Krieges, heimlich mitten in den sibirischen Wäldern. Dieses strategische Objekt wurde auf keiner Karte markiert. Ähnliches gilt für die umliegenden Städte, die damals unter dem Namen Tscheljabinsk-65 Ozersk (80.000 Einwohner) bekannt waren. Es wurden viele Maßnahmen getroffen um die Geheimhaltung des Geländes zu sichern, dessen nächstgelegene Siedlung Kyshtym war. Ein ehemaliger Bewohner erzählte der Zeitung Le Parisien kürzlich von den Geschehnissen. Seine Eltern mahnten ihn schon als Jugendlichen: "Wenn du jemandem davon erzählst, werden wir eingesperrt."



Diese Famile waren Mitarbeiter von Majak, wo Plutonium produziert wurde. Diese Substanz ist für die Herstellung von Atomwaffen notwendig, und die UdSSR hat alles getan, um so schnell wie möglich eine hohe Menge davon zu produzieren. 
Umwelt- und Gesundheitsprobleme wurden durch Nachlässigkeit oder mangelndes Verständnis der Folgen verdrängt. Anfangs wurde der flüssige radioaktive Abfall heimlich in den Tetscha-Fluss gegossen, auf dem das Unternehmen stand. Die katastrophalen gesundheitlichen und ökologischen Folgen zwangen die Behörden erst spät, nach einer anderen Lösung zu suchen.


Diese Abfälle wurden dann erst in einem Lager am nahe gelegenen kleinen See Karatschai aufbewahrt, der zu einem der am stärksten verschmutzten Orte der Welt wurde. Um Wasserverschmutzung zu verhindern, wurden 1953 Stauseen gebaut, um den Kontakt der Abfälle mit dem See zu vermeiden, schrieb im September die Zeitschrift Sciences et Vie. Die den Beton umgebenden Lagerräume waren mit einem Kühlkreislauf ausgestattet, um den Anstieg der Temperatur der Wärme abgebenden Flüssigkeiten zu verhindern. Die Wartung der Anlage war sehr mühsam und notwendige Reparaturen wurden nicht immer rechtzeitig oder gar nicht durchgeführt.

Probleme in Wartungsräumen verursachten dann wohl einen schweren Unfall. Alle Details dessen, was passiert ist sind noch unbekannt, aber bekannt ist: ein unkorrigierter Fehler im Kühlsystem hat zu einer Erhöhung der Temperatur auf über 300 Grad geführt und die gefährlichen Flüssigkeiten verdampfen lassen. Der Druck in den Tanks nahm daraufhin stark zu, was am 29. September 1957 zu einer Explosion führte.



 "Es war Sonntag. Ungefähr fünf Uhr. Ich ging zu meinem Bruder. Ich habe eine Explosion gehört und eine Wolke gesehen ", sagte der ehemalige Leiter des Majak-Dosimetrielabors 1990 der Zeitung L'Humanité. Das Volumen der Freisetzung betrug 70 bis 80 Tonnen Abfall. Das meiste davon fiel direkt auf den Unfallort, aber ein Teil bildete eine radioaktive Wolke, die sich nach Nordosten bewegte. Unter seinem Einfluss befanden sich etwa 270 000 Menschen auf dem Territorium von mehreren tausend Quadratkilometern. Besonders starke Verschmutzung wurde auf dem Gebiet von 1.000 Quadratkilometern registriert. Auf diese Weise werden die Wolken manchmal als "radioaktive Spur des Osturals" bezeichnet.

Die Bevölkerung begann man daraufhin in zu evakuieren. Dies dauerte allerdings über 10 Tage. Diese 10 Tage waren mehr als genug, die Menschen mit einer ernsthaften Strahlendosierung zu kontaminieren. Sciences et Vie schreibt über eine Fläche von 20 Quadratkilometern um den Ort der Explosion herum, in dem alle Kiefern starben. Ein paar Monate später wurde die Bevölkerung von zwei Dutzend Dörfern - etwa 10.000 Menschen - evakuiert. In Dokumenten werden 200 Todesfälle durch Strahlung für mehrere Monate erwähnt. Es gibt jedoch keine genauen Daten, wie es oft der Fall ist. Die Auswirkungen auf die Umwelt und die Bevölkerung sind bis heute akut, auch durch die Verschmutzung des Flusses infolge der Emissionen.

Vollständige Geheimhaltung

Natürlich versuchte man den Unfall geheim zu halten. In den 1960er Jahren erfuhr die CIA offensichtlich von der Einrichtung und dem Vorfall. Der Pilot des Spionageflugzeugs Gary Powers wurde während eines Spionagefluges in der Region abgeschossen. Doch auch Amerika beschloss wohl über den Vorfall Stillschweigen zu bewahren, um ein bereits hohes Misstrauen gegenüber der Atomindustrie in Nordamerika und Europa nach dem Unfall in Großbritannien noch zu verschärfen.

Bis heute ist kaum etwas näheres über den Vorfall bekannt. Doch Angehörige und Hinterbliebene der Opfer des Unfalls klagen heute vor Gericht, damit der Vorfall bekannt wird und Gelder an die Opfer und deren Familien gezahlt werden, berichtet der Nachrichtensender Al-Jazeera.

Der russische Biologe Zhores Medvedev, der nach Großbritannien floh, schrieb einen Artikel im New Scientist über viele Faktoren, die auf die Wahrscheinlichkeit einer nuklearen Explosion vor 20 Jahren im Kyshtym-Gebiet hinwiesen.  Der Wissenschaftler ergänzte die 1979 veröffentlichte Untersuchung durch ein Buch.

Die freigegebenen Dokumente, die seitdem erschienen, erlauben mittlerweile eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Unfall in Majak tatsächlich passiert ist. Der Unfall wurde der sechsten (von sieben) Ebenen der internationalen Skala von nuklearen Ereignissen zugeschrieben, was nur eine Stufe unter den Vorfällen von Tschernobyl und Fukushima liegt. Nahe Verwandte von Opfern, darunter Nadezhda Kutepova, kämpfen weiterhin für die Anerkennung des Unfalls und die Zahlung finanzieller Unterstützung.



Das Unternehmen arbeitet wahrscheinlich noch


Greenpeace fand heraus, dass nach wie große Mengen von strahlendem Abfall in die umliegenden Seen und Flüsse entsorgt wird. Und in den Dörfern um die Anlage herum leben noch immer viele Menschen. Erst durch die Radioaktive Wolke, die Ende 2017 über Europa hereinbrach, wurde der ganze Fall noch einmal von vorne aufgerollt. Allerdings sind es eher wenige Personen, die versuchen, den Fall in die Schlagzeilen zu bringen. International hört man fast nichts darüber.

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